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„Blessuð og sæll!“
– Sei gesegnet und glücklich!
26.05.2022 – Heimaey / Westmännerinseln / Island
Die Nacht ist schaukelig. Erste Schweinswale begleiten das Schiff auf meinem Weg nach Heimaey, der größten und einzig dauerhaft bewohnten Insel der Westmännerinseln. Wegen zu hoher Wellen kann das Schiff nicht ankern und liegt so auf Drift vor Heimeay, übergesetzt wird mit den Tenderbooten. Nach einer kurzen schaukeligen Tendertour mache ich mich auf den Weg zu den Vulkanen Eldfell und Helgafell, und zum Puffin-Lookout. Helgafell, Eldfell – diese Namen erinnern mich an eine Serie, die ich nie gesehen habe.
Perfektes Wanderwetter! Frisch und sonnig! Ich kraxele über dunkles, rotes und schwarzes Vulkangestein, am Rand wachsen lilafarbene Lupinen. Erstmal Jacke zu. Auf dem Eldfellvulkan am Krater ist es sehr sehr windig, aber der Zwiebellook bewährt sich auch hier. Die Aussicht ist grandios: Vom Helgafell, dem Nachbarvulkan, über die Stadt von Heimaey bis hin zum Hafen und über das Meer.
Über einen Küstenweg durch eine Vulkanlandschaft mit ein paar Häuschen aus Holz oder Wellblech gelange ich an die Steilküste Heimaeys – absoluter Lieblingsort! Die Möwen und andere Vögel schießen an den Felsen entlang, unten kracht die Brandung gegen die Klippe. Erst auf den zweiten Blick entdecke ich den alten Traktor, der an der Klippe hängt, gruselig!
Der Pfad schlängelt sich an der Steilküste entlang, zwischendurch klettere ich über kleine Gatter, ansonsten geht es immer geradeaus. Die Sonne steht hoch, es ist warm und gleichzeitig frisch, das riecht nach Sonnenbrand. In der Ferne eine Hütte: Das könnte der Puffin-Lookout zur Beobachtung von Papageientauchern sein. Aber so weit? Mein Blick geht zur Uhr. Das wird mir zu stressig – bedauernd, aber dafür sicher, dass mir das Schiff am Ende des Tages nicht vor der Nase wegfährt, kehre ich um und lasse den Puffin-Lookout auf meiner Route aus. Sportlich scheinen die Heimaey-Bewohner zu sein: Der Fußballplatz und der Golfplatz direkt an den Klippen sind gut besucht. Nach einem Abstecher zu alten Steinhäusern auf einem kleinen Campingplatz und kurzem Weg durch die Stadt erreiche ich den Hafen gegen 18:30 Uhr.
27.05.2022 – Reykjavik / Island – „Golden Circle Tour“
Der heutige Ausflug ist ein absolutes Highlight auf meiner Islandreise und wahrscheinlich DIE , also wirklich DIE Tour, die jeder Island-Tourist macht (ob er will oder nicht). Meine kleine Reisegruppe macht sich auf den Weg aus Reykjavik, der nördlichsten Hauptstadt der Welt, zum Golden Circle …bzw. zunächst auf die Suche nach dem richtigen Bus. Nach einiger Rumfragerei finden wir den richtigen Shuttlebus am Hafenterminal und belegen nach einigen Platzwechseln (Ich kann nicht vor der Quasselstrippe sitzen, die sich schon vor Abfahrt zwischen den Sitzen durchschiebt und mir aus ihrem Leben erzählt) in unserer kleinen Gruppe die hinteren Plätze. Der Golden Circle umfasst den Þingvellir-Nationalpark, das Geysir-Geothermalgebiet und den Wasserfall Gullfoss in Südwest-Island – und ist touristisch extrem erschlossen. Dennoch: Die Straßen sind leer, die Landschaft ist weit: Keine Häuser, keine Masten, keine Satellitenschüsseln, nichts.
Nur Landschaft und blauer Himmel mit ein paar Wolken. Im Þingvellir-Nationalpark frage ich mich: Wie laut muss die Entstehung dieser Felsformationen gewesen sein, die auf die Lage des Gebietes direkt auf der Grabenbruchzone zwischen der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatte zurückgeht. Oder wie leise und und unbemerkt, denn der Spaß ist noch nicht vorbei: Auch jetzt noch driften die Platten auseinander, pro Jahr ca. 2,5cm. Island ist das einzige Land, in dem dieser Graben, der mittelatlantische Rücken, über dem Meeresspiegel verläuft. Von einer Aussichtsplattform aus habe ich einen wunderbaren Blick über den Þingvallavatn, Islands größten natürlichen See.
Im Jahr 930 bildeten die ersten Siedler Islands in dieser Gegend eine kollektive Regierung, in die jede der Siedlergruppen einen Vertreter schickte, der Versammlungsort bekam den Namen Þingvellir („Parlamentsfelder“).
Wir fahren zunächst zum Gulfoss-Wasserfall weiter. Absolute Naturkraft rauscht hier zwei Stufen 32 Meter hinab; pro Sekunde stürzen 140 Kubikmeter Wasser in die Tiefe. Es gibt verschiedene Besucherplattformen, und während die anderen das Spektakel von oben bestaunen, stehe ich unten auf der Plattform an der Wasserfallkante. Es ist laut, die Luft ist feucht durch feinen Wassernebel, die Sonne zaubert Regenbogen über den Wasserfall.
Gut 10 Minuten vom Gulfoss entfernt liegt das Besucherzentrum im Haukadalurthal, mit einem Geothermalfeld mit Geysiren, heißen Quellen und ganz viel heißem Dampf. Der großen Geysir, der sehr selten und unregelmäßig ausbricht (und bei unserem Besuch grade schläft), beeindruckt ob seiner Abwesenheit nicht, aber sein kleiner Bruder, der Strokkur Geysir, der bei seinen Explosionen alle zehn Minuten 20-40 Meter hohe Wasserfontänen hochschießt, gibt sich große Mühe.
1981 wurde herausgefunden, dass der große Geysir durch Einpumpen von Seife zur Eruption gebracht werden konnte, aber wegen der Umweltauswirkungen wurde dieses in den 90ern wieder gestoppt. Aber wenn er hochgeht, dann richtig: 2000 war die Fontäne 122m hoch.
Für ein gemeinsames Foto positionieren wir uns vor dem Geysir, die anderen vor, ich hinter der Kamera, und wie bei einem Photoshooting 1900 halten alle mehrere Minuten still, um den Geysirausbruch nicht zu verpassen.
28.05.2022 – Ísafjörður / Island
Sehr klein, also wirklich sehr klein, sehr beschaulich im Fjord. Der Tag fängt entspannt an. Die Sonne scheint und brennt sich, vom Schnee auf den Bergkuppen reflektiert, in die Augen. Auch ganz kleine Städte haben Potential – zumindest Einkaufspotential.
Ich und meine Begleitung tendern nach Ísafjörður hinüber und schlendern die Hauptstraße entlang. Kleine Häuschen von 1800, mit Wellblech verkleidet, für 2736 Einwohner. Wir machen schöne Bilder an der Kaimauer und spazieren weiter zum Kulturhaus, wo wir eine sehr kleine Fotoausstellung und eine Miniausstellung zur Medizingeschichte anschauen. Im Anschluss steigen wir noch zum unfertigen Aussichtspunkt mit herrlichem Blick über Ísafjörður. Bei einem isländischen Netto kaufen wir ein paar Kilo (ja…) Lakritze und tendern wieder zum Schiff. Das war ein kleiner, aber feiner Tag.
29.05.2022 – Akureyri / Island
Heute gehe ich auf Walbeobachtung. Schon damals in Norwegen hatte ich viel Freude daran, die sanften Riesen zu beobachten. Endlich wieder! Dieses Mal geht es nicht mit einem Katamaran raus, sondern mit einem umgebauten Fischerboot mit reichlich Platz für jeden an Deck. Schon kurz nach der Hafenausfahrt und Einfahrt in den Fjord ahhht und ohhhht es: die ersten Buckelwale! Blas und Finne sind zu sehen, aber kein Kopf. Die Sonne strahlt, wir auch. Islandfreude pur. Es ist so eine schöne Zeit: Licht, Wasser, ganz besondere Tiere, bezaubernde Momente mit Menschen gemeinsam, die man liebt.
Nach dem Abendessen verbringe ich noch zwei Stunden draußen. Die Sonne scheint warm, das Meer ist spiegelglatt. In der Ferne sind Wale zu sehen. Ein Mann spricht mich an: Er sucht den Polarkreis, über den wir heute gefahren sind. Ich mache ein Beweisfoto für ihn, das er seinem Freund zu Hause schicken möchte.
31.05.2022 – Und ein Umweg: Lerwick / Schottland
Wir landen auf den Shetlandinseln. Graue Steinhäuser begrüßen uns in Lerwick. Um 13:00 Uhr gehen wir gemeinsam vom Schiff, mit Passkontrolle – dank Brexit.
Lerwick lässt sich prima durchlaufen, und ich drehe meine Runde alleine, während der Rest meiner Reisetruppe in Lerwick shoppen geht. Nach Fort Charlotte (Kanonen und Steine) und dem Shetland Museum (mit Werkstatt zur Schiffsrestauration) am Sportplatz vorbei gelange ich zu Clichimin Broch, einer Festungsanlage aus der Eisenzeit: Verwinkelt, verschachtelt, und voll brütender Vögel.
Am Klippenweg The Knab treffe ich Marc (Marcs sind mein Schicksal bei Städtetouren, ihr erinnert euch? Das war ein Antikverkäufer in Tallin (Estland)…), Mitte 50, der sich auf Pilgerwanderschaft befindet, Jesus gefunden hat, und das Ende ist nah. Es hat eine gewisse Ironie in sich, dass mein weiterer Wegabschnitt mich zum Friedhof (mit Küstenblick) führt. Lerwick sieht sehr schottisch-britisch mit einem Hauch von Skandinavien aus… und einem Touch Karibik.
01.06.2022 – Und ein Umweg: Stavanger / Norwegen
Heute wollen wir RIB fahren (Rigid inflatable boat), einmal Speedboot. In die riesigen Anzüge und Handschuhe passt jeder von uns mindestens zweimal, was soll das überhaupt, es ist doch recht warm heute. Ach, naiv, naiv. Wir verteilen uns auf das Boot, acht Personen und der Bootsführer in der Mitte. Als „junges Volk“ bekommen meine Begleitung und ich die vorderen Plätze – hier knallt das Boot am weitesten auf und ab beim Wellenfahren, und die älteren Bandscheiben unter uns sind darüber nicht so erfreut. Das Wasser ist zu Anfang ruhig, wir fahren langsam aus dem Hafen in den Fjord raus, und dann …mein Gehirn bleibt irgendwo weiter hinten zurück und braucht ein bisschen, um mich in dem Boot wieder einzuholen. Bis dahin fühle ich mich, als säße ich in einem PC-Spiel, die norwegische Landschaft saußt irgendwie unwirklich an mir vorbei. B. und ich bekommen einen riesigen Adrenalinlachflash, es ist einfach grandios.
Als ehemalige Reiterinnen nehmen wir jeden Wellenkamm im leichten Sitz – bloß nicht auf das Steißbein knallen! Wir fahren an den Preikestolen heran, eine sehr markante und riesige Felsplattform 604m hoch am Lysefjord, und unter einen Wasserfall, dazu gibt es Geschichten über Schmugglerhöhlen, Bergziegenbeobachtungen (Fjordziegen, die direkt an den steilen Fjordfelsen stehen) und sehr, sehr, sehr! viel kalten Wind um die Nase. Gischt spritzt uns patschnass, als wir in einem Affenzahn wieder zurücksausen. Die Anzüge sind perfekt! Ich habe nichts gesagt.
Nach unserer Fahrt erfahren wir noch von einem Passagier, der sich bei dieser Aktionen einen Rückenwirbel gebrochen hat – zu fest auf den Sitz geschlagen. Ich darf sowas immer erst hinterher hören, sonst habe ich vorher Kopfkino. Aber so war die Fahrt unbeschwert, voller Freude und Atemlosigkeit vor lauter Natureindrücken!
02.06.2023 – Und ein Umweg: Kristiansand / Norwegen
Kristiansand ist die letzte Station, bevor es nach Hause geht. Wir machen es sozusagen wie die Norweger: Im Sommer ist Kristiansand einer der beliebtesten Ferienorte Norwegens. Alles hier sieht etwas teurer und ordentlicher aus, und so richtig fühle ich mich hier nicht wohl. Es ist schön, häusertechnisch etwas durcheinander, dafür straßentechnisch sehr ordentlich. Die bunten Häuserzeilen gefallen mir, die Innenstadt erinnert mich mit ihren Geschäften zu sehr an zu Hause. Die Straßen sind mit dem Lineal gezogen, Verlaufen dadurch im Zentrum fast unmöglich.
Der Stadtkern wurde wie ein Schachbrett mit 54 quadratischen Feldern angelegt und deswegen auch Kvadratu genannt. 1734, 1859, 1880 und 1892 zerstörten Brände viele traditionelle Holzhäuser der Altstadt, deren Neuaufbau aus Holz verboten wurde. Stattdessen wurden neue Gebäude im Stil verschiedener Epochen gebaut. Dieser Stadtteil wird auch Ziegelstadt Murbyen genannt.
Bei der kleinen Festung Christiansholm kommt noch einmal kurz Sightseeinggefühl auf, aber irgendwie leitet dieser kurze und sehr ruhige Aufenthalt hier genau richtig den Abschluss unserer Rundtour ein. Island liegt schon weit weg. Norwegen verlassen wir an der südlichsten Spitze Richtung Dänemark und Deutschland. Island war nicht genug. Zu kurz. Und rutscht so wieder auf meine Reisezieleliste.
Meine Bewertung: