Rundreise durch Namibia: Einmal quer durch den Sonnenfarbkasten
Rundreise durch Namibia: Einmal quer durch den Sonnenfarbkasten

Rundreise durch Namibia: Einmal quer durch den Sonnenfarbkasten

„Vielleicht verlierst du ein Stück Herz. Aber du kehrst mit einem Schatz zurück: Erinnerung.“

Was mir durch den Kopf ging. Tante Reisefieber

26.03.2023 – Frankfurt, Deutschland – Windhoek, Namibia

Auf manche Dinge ist Verlass. Auch auf die Deutsche Bahn, die nicht kommt. Ich stehe am Bahnhof, es ist nass, es ist grau. Ich fahre in den Urlaub. Sechs Stunden bis zum Flieger. Ich fahre nach Düsseldorf statt nach Köln, Dank erster Klasse bequem. Von Düsseldorf mit dem ICE nach Frankfurt an Köln vorbei. Rappelvoll, aber ich habe Glück, und sitze auf dem reservierten Platz einer anderen Person, die heute nicht reisen konnte. Ob wir heute noch dem angekündigten Generalstreik morgen entkommen?

Frankfurt ist ein Monsterflughafen. Aber ich finde mich zurecht und verbringe noch einige Zeit mit Rumhängen am Gate. Ich muss ein bisschen an den Film mit Tom Hanks denken, in dem er am Flughafenterminal gefangen ist. Boarding beginnt deutlich verspätet, die Maschine wurde getauscht und ist kleiner, dafür aber gefüllt bis unter die Decke. Jeder Passagier soll möglichst vor Streikstart weg kommen. Passagiere beschweren sich, dass sie keine zusätzliche – obwohl bestellte – Beinfreiheit haben. Ich sitze im Stil Sardine in Dose am Fensterplatz und fühle mich unwohl mit dem breiten Mann direkt neben mir, der Arme und Beine weit von sich ausbreitet. Den Kampf um die mittlere Armlehne gebe ich schnell auf und verbringe den Flug halb in die Ecke gequetscht. Geschlafen wird kaum, dafür exklusiv unruhig. Aber immerhin sind die Noisecanceling-Kopfhörer eine Wucht. 10 Stunden! Durchhalten!

27.03.2023 – Windhoek / Windhoek Luxury Suites

Landeanflug auf Windhoek. Die Landschaft ist grün, die Regenzeit vorbei. Die Sonne scheint und Wolken ziehen über die Weite. Aus dem Flugzeug sehen die Straßen aus wie mit dem Lineal gezogen.  Nach einer Zuckerlandung laufen alle Passagiere einfach über das kleine Rollfeld zum Flughafengebäude; es wird ein heißer Tag. Aber endlich Licht, Sonne!

Zack! Ein erster Stempel in meinem Reisepass. Namibia. Ich bin da. Schnell finde ich meinen Koffer und werde schon am Ausgang von Tourguide Peter begrüßt. Dank langer Passkontrollschlange bin ich die Letzte; ich schaue mich suchend um. „Hey“, winkt er mir zu. „Geh zum Bankautomaten, heb 2000 ab.“ Alle warten weiter.

Nach einem Zug am Geldautomaten mit Wechselkurs 20Na$/1 Euro sammelt sich die Gruppe und setzt sich in den Reisebus. Wir fahren nach Windhoek und absolvieren erstes Programm. Und ich bin so müde, könnte einfach schlafen. Wie unsere Gruppe zusammenfinden wird?

Beim Anflug dachte ich, Namibia ist ganz schön flach. Stellt sich raus: Windhoek liegt 600m über NN. Peter warnt uns vor Diebstahl und Linksverkehr, vor Tieren auf der Straße (Pumba Warzenschwein zum Beispiel). Und schließt direkt eine Frage aus: Wie lange brauchen wir für Strecke X? Entfernungen in Namibia sind nur das: Entfernungen. Zeit spielt dabei keine Rolle.

Die vergangene Kolonialzeit ist in Windhoek unglaublich präsent. So vieles ist weiterhin auf Deutsch – die „Bismarkstraße“, die „Kiekebuschstr.“. Auch die Bergketten um die Stadt herum tragen deutsche Namen, z.B. „Bismarkberg“. Und nach welchem Peter Müller ist die Peter Müller Straße benannt? Im Stadtbild vermischen sich moderne Häuser, mit Mauer und Draht gesichert, und einfache Unterkünfte bis zur Wellblechhütte. Mauern und Zäune sind wichtig, sonst gibt es keine Versicherung. Je kleiner die Hütte, desto mehr Leute scheinen darin zu leben. Die Arbeitslosigkeit in Windhoek liegt bei ca. 35%.

Wir fahren durch die Stadt; Kinder kommen aus der Schule. Unser Bus wird angeschaut, zwischendurch wird gewunken. Nach einem ersten gemeinsamen Kennenlernen unserer Gruppe bei einem Brunch in einem Café machen wir im Linksverkehr einen kurzen Abstecher zur Christuskirche (hier ist alles auf Deutsch, einschließlich Schaukästen) und zum historischen Bahnhof, in dem Züge und Zeit stehengeblieben sind. Die wichtigste Frage wurde schon vorab im Café geklärt: Wer isst was?

Ich bin als ‚Vegetarierin‘ ‚registriert‘, weil ich bei der Frage, wer vegetarisch möchte, aufgezeigt habe – Teilzeitvegetarierin gab es nicht zur Auswahl. Es wird kompliziert. Peter informiert schon einmal vorab, dass es Glück sei, dass ich nicht Veganerin sei – sehr kompliziert, aber wie dem auch sei…fest steht: Nur Vegetarier werden von Löwen gefressen. So ein Glück für die Gruppe.

In Katutura, einem ehemaligen schwarzen Township von Windhoek, erprobe ich mich in Batikstoffmalerei im Unterstützungsprojekt Penduka. Das Ergebnis sehe ich erst zuhause, der Stoffzuschnitt muss noch gebügelt und gewaschen werden. Die Frauen von Penduka nähen, drucken und malen schöne Produkte zum Verkauf und erarbeiten so ein Einkommen für ihre Familien. Nach kurzem Tanz und Gesang der Frauen fahren wir zu den Windhoek Luxury Suites, unser erster Gasthaus-Check-in.

Die Windhoek Luxury Suites sind in einem ruhigen Wohnviertel in Klein Windhoek, eine schöne Anlage hinter Gittern. Alles wirkt insgesamt ordentlich und sauber. Die Dusche ist trickreich und es ist nicht sofort ersichtlich, wie sie abseits ihrer Regenfunktion funktioniert. Die Windhoek Luxury Suites haben Hotelcharakter. Als kleine Überraschung liegt abends eine kleine Geschichte auf dem Bett. Gegenüber im Quartier Bougain Villas liegt direkt das Stellenbosch Restaurant, eines der besten Restaurants der Stadt und unser Ort für Abendessen und Frühstück.

Beim gemeinsamen ersten Abendessen im Stellenbosch  findet sich unsere Gruppe langsam zusammen. Noch sind wir alle Fremde. Das Ambiente ist mediterran, das Essen gut. Und wir bekommen die erste ‚Tourguide-Ansage‘: Um 6 Uhr Koffer rausstellen und Frühstück! Abfahrt um 7 Uhr.

28.03.2023 – Windhoek – Sesriem / Namib Desert Lodge

Der erste Morgen in Namibia! Vor meiner Tür werde ich durch eine Gottesanbeterin und einen ersten roten Sonnenaufgang über der Stadt begrüßt.

Am Anfang aller Dinge war eine Mantis. Sie war die Überbringerin des Wortes, denn sie gab den Dingen als Erste ihre Namen. Sie wurde von einer Biene über die finsteren Wasser der Sündflut getragen. Erschöpft und verzweifelt nach einer Stelle suchend , wo sie in dieser wallenden Wüste mit ihrer schweren Last ausruhen könnte, erblickte die Biene eine große, weiße halb geöffnete Blüte über der Flut. Mit erlahmender Kraft legte sie die Mantis im Herzen der Blume zur Ruhe nieder und dadurch die Saat des Urgeistes in sie, gesichert vor den tosenden Wassern, die draußen vorüberschossen.

Mythos der San, aus: Namibia – Leben in extremer Landschaft, Katja und Josef Niedermeier, National Geographic

Es ist etwas wolkig bedeckt, aber wir bekommen eine Ahnung davon, was Sonnenaufgang in Namibia heißt. Wir frühstücken im Stellenbosch und fahren los Richtung Auasberge mit unserem Ziel der Aris-Grundschule. Den ersten Toilettenstop von sehr vielen auf unserer Tour legen wir an der Maerua Mall, dem größten Einkaufszentrum im Land, ein. Die meisten Geschäfte hier sind südafrikanisch.

Eine kleine Infobox: In Namibia sind 80% der Bevölkerung Christen. Große Unterschiede in den Gehältern zeigen sich besonders bei den verschiedenen Wohnungen und Häusern: Für ein Zimmer in einem Haus zahlt man ca. 3000 Dollar, 5000 bis 20000 für das gesamte Haus. Der Durchschnittsverdienst liegt bei 10000 Dollar im Monat. Staatliche Hilfe gibt es keine, bis auf eine geringe Unterstützungsrente für Frauen ab 55 und Männer ab 60. Es besteht Schulpflicht mit Ausnahme für die Kinder des nomadischen Himba-Stammes, bei denen eine mobile Beschulung bisher nicht gelungen ist. Kinder auf dem Land haben teilweise viele Kilometer Schulweg; regelmäßiges Mittagsessen in der Schule fördert den Schulbesuch.

Die Aris-Schule, die von Kindern der Nama besucht wird, ist einfach und zweckmäßig ausgestattet, Etagenbetten, ein sehr langer Esstisch. In der Vorschule üben die Kinder in der Klasse grade, ihren Namen zu schreiben. Als wir eintreten, singen sie uns ein Lied vor. Ich fühle mich etwas unwohl, wie wir um diese Kinder herumstehen und sie beobachten, und finde mich in der Hocke wieder. Die Lehrerin zeigt das Bild eines Jungen hoch, ich bewundere und biete ihm High-5 an. Schwupp, habe ich die Klasse um mich herum: Jeder bekommt High-5, wir lachen.  Das Internat beeindruckt mich, auch wenn es weit weg ist von der Alltagsrealität, die unseren Schulkindern geboten wird. Spielzeug gibt es nicht, dafür klare Struktur, ein Bett, regelmäßige Mahlzeiten, Schulbildung und Freunde, mit denen nachmittags Fußball gespielt wird.

Gut, dass wir alle die Fenster unseres Busses geschlossen haben. An der Schule begegnen uns die ersten Tschakma Paviane (Bärenpaviane), die gerne mal in geöffnete Fenster klettern, um zu klauen.

Die Fahrt nach Rehoboth durch die Aurasberge führt uns über eine Waage, Mautgebühr nach Gewicht – wir haben alle noch nicht viel gegessen. In Rehoboth machen wir einen kurzen Tank- und Raststop, danach geht es rauf auf die namibische Autobahn. Immer wieder stehen Leute am Straßenrand im weiten Nichts. Einer schiebt eine Schubkarre. Einer mäht Gras. Einer läuft einfach ohne erkennbares Ziel. Wo wollen sie hin? Das Land, durch das wir fahren, ist weit, sehr weit, aber umzäunt, und wird für die Rinderzucht genutzt. Dein Land, deine Rinder, und jedes Wildtier, das auf dein Land kommt, ist deines und wird geschossen. Denn springt es über den Zaun, gehört es deinem Nachbarn.

Nach dem Tankstop geht es ab auf die namibische Autobahn, breite Schotterpiste und viel Staub; das Auto vor uns staubt uns völlig ein. In Namibia ist der Himmel sehr nah. Bei einem kurzen Tankstop für uns an Conny’s Coffeshop, der nicht von Conny, sondern von Günther geführt wird, probieren wir unsere erste Mischung aus Antilope und Rind; einmal Daumen hoch vom Guide für die Flexitarierin.

Günther hat sich auf die Simultanzubereitung von individuellen Kaffeeportionen spezialisiert und braut an seiner individuell gefertigten Kaffeeaufgussleiste direkt für mehrere Personen unterschiedliche Kaffeesorten. Schon Erfahrungen in Deutschland gemacht, waren ihm Menschen und Konsum zu viel – immer das Neue. Jetzt lebt er auf dieser kleinen Farm, mit einer netten Truppe Gänse, die als Aufpasser herumwatscheln, baut einiges an Gemüse an, plauscht mit Gästen und betreibt dank einer sonnenlichtreflektierenden Kiste, die sich nach dem Sonnenstand ausrichten lässt, Slow Cooking ohne Überkochen oder Anbrennen. Am Bus stehen zwei Bäume mit rosafarbenen Früchten; einmal gerieben, steigt leichter Pfeffergeruch in die Nase.

Durch den Naukluft-Nationalpark über den Remhoogte-Pass fahren wir am Nachmittag Richtung Namib Desert Lodge, endlich Wüste! Noch auf der Straße sichten wir die ersten Kudus, die mit weißem Schwanz in Reihe an uns vorbeilaufen.

Die Bäume verschwinden, es wird bergiger. Massive Schiefergebirge, dann weite Landschaft mit einer Bergkette am Horizont. Wieder verändert sich die Landschaft, flacher, weiter und gelber, das Gras verdorrt. Direkt dahinter wartet die Namib auf uns; Sesriem und Sossusvlei sind schon ausgeschildert.

So habe ich mir das vorgestellt! Die Namib Desert Lodge liegt am Rand der rotleuchtenden Dünenlandschaft. Draußen begrüßt uns eine Warzenschweinmama mit ihren Frischlingen, alle sind auf den Vorderknien mit Rasenmähen beschäftigt. Ich wohne in Lodge 18, ein kleines Zimmer mit Bad und kleiner Terrasse, direkter Blick in den Busch! Vor dem Fenster laufen Oryxantilopen vorbei und eine lustige Truppe von Perlhühnern, die alle ordentlich in Reihe laufen. Diese Hühner haben Disneyfilmpotential.

Es sind 33 Grad, aber das Wetter lässt sich gut aushalten. Ein Teil unserer Gruppe verschwindet im und am Pool, wir anderen verteilen uns, suchen uns Eckchen und genießen die Aussicht. Ich mache einen kleinen Buschspaziergang mit Begleitung und wir nutzen die verschwindende Sonne, um noch ein paar schöne Bilder zu machen. Mutter Warzenschwein mäht weiter. Um 19.00 Uhr treffen wir uns alle zum Abendessen. Die Sterne über uns leuchten schon sehr. Morgen ab ins Dune Star Camp, die Betten unter die Sterne rollen. Vorfreude!

29.03.2023 – Sesriem / Namib Dune Star Camp

Wenn Peter die Abfahrt erst zum Abendessen verrät, ahnen wir Schlimmes. 5 Uhr Frühstück – 6 Uhr: Wir sind auf dem Weg ins Sossusvlei. Wir fahren durch eine dunkle Landschaft, die einzigen Lichter die Sterne und die Scheinwerfer unseres Busses. Die schwarzen Rücken der Bergkuppen, die in der dahinter aufgehenden Sonne langsam leuchten, erinnern mich an schlafende, auf dem Rücken liegende Riesen.

In den Naukluft-Naturpark fahren wir über Sesriem, benannt nach einem kleinen Canyon des Tsauchab, und tauchen ein in das namibische Sand Meer (Namib Sand Sea), das aufgrund seiner einzigartigen Wüstenlandschaft, Tier- und Pflanzenwelt seit 2013 zum UNESCO Welterbe gehört und in dem man als einziger Wüste der Welt alle Dünenformen findet, wenn man drüberfliegt.

Aber wir fahren und nähern uns den großen, rot leuchtenden Dünen. Eisenoxid ist das Farbgeheimnis. Die Namib ist eine der größten Wüsten der Welt, dennoch achtmal kleiner als die Sahara. Aber den Titel älteste Wüste der Welt trägt sie mit ihren mehr als 80 Millionen Jahren. Auch die höchsten Dünen der Welt stehen hier, ein bisschen gemogelt zwar, weil die Dünen nicht höher als 320m werden, dafür aber insgesamt bei 1600m über dem Meeresspiegel liegen.  Auf unserem Weg zu den Namib-Dünen begegnen uns Springböcke und am Flussbett finden wir Hyänenspuren im Sand. Geier nutzen die Bäume im Flussbett zum Brüten.

Im ganzen Gebiet dürfen zwei Dünen bestiegen werden. An Düne 45, einer Sterndüne zwischen 80 bis 170m Höhe, die so heißt, weil sie an Kilometer 45 zwischen Sesriem und Sossusvlei liegt, fahren wir vorbei. Anfängerpotential! Wir widmen uns stattdessen „Big Daddy“, der höchsten Düne, die über dem Deadvlei mit seinen 800 Jahre alten abgestorbenen Bäumen thront. Mit einem Treckeranhänger und vorgespanntem Trecker fährt uns ein sehr enthusiastischer Treckerfahrermeister ins Sossusvlei hinein. Der Sand leuchtet rot, der Himmel leuchtet blau. Und ich denke: Die Wüste ist da, seit Millionen von Jahren, einfach da.

Peter führt uns ein paar Schritte durch den Wüstensand. „Straußensalad“ preist er die Blätter eines fast trockenen Busches an und drückt einen Tropfen Wasser aus dem einzelnen Blatt. Ich probiere, das Wasser schmeckt sauer und süß zugleich.

„Wer schafft die Düne?“, mehrmals werden wir vom Guide gefragt. „Wer geht die kleine Düne rauf, wer Big Daddy, wer direkt ins Deadvlei zu der Salzpfanne?“, „Nur raufgehen, wenn ihr es schafft!“ – Klar schaffen wir das, was ist schon eine Sanddüne?

Zu viert stapfen wir los. Warum ist es eigentlich um 11:00 Uhr schon so brennend heiß? Die Sonne knallt von oben. Ich kehre einfach um… denke ich. Ich kann nicht mehr, es ist heiß, das Hochlaufen im Sand sehr beschwerlich. Ich könnte einfach seitlich an der Düne runterlaufen, 150m und 2 Minuten später wäre ich unten.Warum mache ich das eigentlich hier? „Keine Option“, sagt Steffi und versorgt mich mit Traubenzucker und guten Worten. Aufgeben ist keine Option, auch wenn ich danach mit Sonnenstich auf einer Düne in der Landschaft sitze. Egal. Und dann ist es geschafft, und die Aussicht von oben ist eben auch eine andere als von unten.

Schillernde Käfer krabbeln aus dem Sand. Nach einer kurzen „Gipfelfeier“ gleiten, schreiten, hüpfen – wie nennt man eine Gangart, die im Sand eintaucht und gleichzeitig fast schwerelos hochfedert – wir den Hang runter. Bis zu den Knien sacken wir in den lockeren Sand, und wer schnell rennt, bringt ganze Sandschichten ins Rutschen. Wir sind unten, die Namib leer – der Sand ist in unseren Schuhen. Wir stehen im Deadvlei und nutzen einen alten, mehrere hundert Jahre alten Baumstamm als kurzen Zwischenstop zur Schuhentleerung. Die Pfanne des Deadvlei ist rissig, die Bäume heben sich von der roten Dünenlandschaft ab. Surreal. Grade pünktlich kehren wir an unseren vereinbarten Treffpunkt zurück. Sitzen. Trinken. Atmen.

Und ich bin jetzt grade sehr froh, dass es keine Selbstfahrertour ist: Jetzt gefahren zu werden ist wunderbar!

Es tut sich eine Kluft auf! Der Sesriem Canyon liegt vor uns und bietet sich für eine halbe Stunde Buspause an. Die Steinformen des Canyons, mal kantig, mal rund abgeschliffen und ausgewaschen, zeigen, wie es über Millionen von Jahren hier geregnet hat und das Wasser durch den Canyon durchgerauscht ist. Jetzt ist alles trocken. Wir rauschen nicht durch, wir sind zu erledigt vom Dünenwandern. Aber ein paar Schritte runter in den Canyon schaffen wir; es ist schattig in der Schlucht.

Steinmännchen. Unseren Tourguide bewegen sie dazu, einen Extrahalt an der Straße einzulegen. Ein Tritt, und der geschichtete Steinhaufen liegt auf der Erde. Ich verteile die Steine in der Umgebung. Steinmännchenzerstörer haben meine absolute Sympathie.

Eine kleine Meinungsbox: Steinmännchen werden oft unbedarft gebaut – als „umweltschonende Signatur“. Aber was ist dieser Drang des Menschen, immer zeigen zu müssen „ich war hier“? Steinmännchen fangen als einzelne Türme an, und wo einer steht, wollen andere Menschen ebenfalls einen Turm hinstellen. „Leave no trace“ – hinterlasse keine Spur. Denn das, was man dort gefunden hat, genau so, wie man es gefunden hat, ist einmalig – und benötigt kein „I was here“.  Hinzukommt: Steinmännchen dienen sinnvoll genutzt als Wegmarkierungen, z.B. für die Arbeiter im Straßenbau im Namibia, um Streckenabschnitte zu kennzeichnen – Touristensteinmännchen sind da nicht hilfreich.

Am Abend fahren wir von unserer Lodge wenige Kilometer ins Dune Star Camp rüber, unsere Koffer bleiben in der Lodge. Jeder bezieht eine kleine Hütte mit Balkon, der ins offene Land ausgerichtet ist, letzte Hütte Nummer 9 für mich; Glücksgriff, denn ich sehe viel und niemand sieht mich.

Auf einer kurzen Tour zu Fuß erklärt uns Guide Fidel vor Sundowner und Abendessen ein bisschen über die Kameldornakazie Acacia Erioloba (die eigentlich ein Mimosengewächs ist) mit ihren 100m tiefen Wurzeln, ihrem Alter bis 900 Jahre und ihren großzügigen 5 Minuten, in denen sie die Giraffe von ihren Blättern fressen lässt, bevor sie so schnell Tannine in die Blätter schießt, dass die Giraffe weiterzieht.

Beim anschließenden Sundowner von der Terrasse des Hauptraumes der Lodgeanlage haut die Namib uns alle Farben entgegen, die Gott in seinem Farbkasten hat. Oryxe sammeln sich an der Wasserstelle, die Berge leuchten. Einen schöneren Sonnenuntergang habe ich nie gesehen.

Die Vegetarierin in der Gruppe bringt den Koch etwas in Not; heute gibt es zwei Gerichte zur Auswahl: Springbocksteak und Fisch. Auch ich nehme das Springbocksteak – und der Tourguide feiert. Darauf einen Handschlag.

Nach diesem sehr schönen und langen Abend bei fantastischen Aussichten in die Namib ziehen wir uns auf unsere Hütten zurück. Doppeltür auf und, zappzarapp, lässt sich das Bett auf den großen Balkon rausschieben. Strom gibt es nur wohldosiert, jede Hütte eine halbe Stunde. Gut, dass ich die Powerbank für das Handy dabei habe, das ich als Ersatzlicht nutze.

Ich schiebe mein Bett auf den Balkon und staune in den Himmel. Es ist Halbmond, und über mir scheint die Milchstraße. Unbeschreiblich. Die Luft ist kühl, und es ist ganz, ganz, ganz still. Mal ein zartes Geräusch hier, da ein Grashalm, der sich im leichten Wind bewegt. Eine Fledermaus besucht mich und fliegt nach zwei Malen um meinen Kopf davon. Ich setze mich ins Bett und schaue in die Wüste. Es ist so schön, ich könnte weinen. Je länger ich hier sitze, desto mehr Sterne werden es; Myriaden von Sternen. Ich ziehe meine Jacke über, stapele noch ein paar Bettdecken, die ich mir bis über die Nase hochziehe, und lege mich unter die Sterne unserer Galaxie. Nachts um Drei wache ich kurz auf; der Mond ist weg. Es ist dunkel, sehr dunkel. Der Himmel funkelt.

30.03.2023 – Sesriem – Swakopmund / Sea Breeze Guest House

Am Morgen erwacht die Wüste, ich auch, bei lilafarbenem Sonnenaufgang.

Was für eine Nacht! Heute suchen wir das Kontrastprogramm zur Wüstenlandschaft und fahren nach Swakopmund, einer Stadt am Atlantik.

Unterwegs begegnen uns ein Brakenschakal und auch ein Strauß und während einer der vielen Pausen lernen wir einiges über Buschmanngift, Adenium boehmianum. Buschmanngift ist eine endemische Pflanze Namibias, und für die Jagd kochen die San aus dem Wurzelsaft Pfeilgift, das auch bei großen Tieren kardiotoxisch wirkt. Hmmm.

Toilettenpausen, Tankpausen, Kuchenpausen – alles lässt sich auf dem Weg zwischen Sossusvlei und Swakopmund in einem Rutsch in Solitaire erledigen, wo es angeblich den besten Apfelkuchen Namibias gibt. Moose McGregor ist 2014 verstorben und liegt direkt vor seiner Bäckerei begraben; seinen Kuchen kann man weiter kaufen. Mit Hilfe einer großen Karte versuchen wir einen Überblick über die Region zu bekommen. Gar nicht weit von uns, ca. 177km in den Namib-Naukluft-Park hinein, finden in Gobabeb Nasaversuche in einem der trockensten Gebiete der Erde statt: Wie ist Überleben ohne Wasser möglich? Zum Glück stellt sich uns diese Frage grade nicht.

Alles ein bisschen giftig hier. Wir halten zur kurzen Pause bei Euphorbia. Was für ein schöner Name, wohlklingend; Euphorbia virosa. Namibische Giftwolfsmilch – eine der giftigsten Pflanzen der Welt. Mit der Warnung „nicht anfassen“ erfahren wir, dass es drei Gruppen gibt, die mit dieser Pflanze etwas anfangen können: San – sie machen Gift für ihre Pfeile draus; Oriyxe – sie futtern an der Pflanze; Nashörner – sie fressen das Gift, um Nahrung aufzuspalten. Alle anderen: Finger weg.

Wir düsen am südlichen Wendekreis vorbei (engl: Tropic of Capricorn, nach dem Tierkreiszeichen „Wendekreis des Steinbocks“), dem südlichsten Breitenkreis unserer Erde, an dem die Mittagssonne grade noch den Zenit erreicht (Sommersonnenwende in Namibia, Wintersonnenwende in Deutschland). Peter erklärt komplizierte Zusammenhänge im Sand, den Einfluss von Erddrehung und Wendekreisen auf Wasserbewegungen. Ob auch das die Drehrichtung des Wassers im Abfluss bestimmt?

Die Landschaft, durch die wir fahren, wurde in jedem Fall durch Wasser geformt, ganz runde Felshügel gehen wie Wellen in einander über. Eine schöne Landschaft, eine raue und unwirtliche Landschaft, zwischendrin trockene Flussbetten, und dazu gruselige Erzählungen über Leopardenangriffe und im trockenen Flussbett durch Regen weggeschwemmte Camper (Leseempfehlung: Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste; Henno Martin).

Nicht Silber glänzt überall in der Sonne am Felsen, sondern Glanzschiefer. Zwischen den Fingern zerrieben bleiben nur noch Glanzpartikel überall. Köcherbäume stehen in der immer flacher werdenden Weite. Bald ist es nur noch eine braune Straße in braunem, flachen Nichts. Ein Kleinwagen liegt mit Warnblinker vor uns auf der Straße, ein Pärchen sieht etwas ratlos aus. Reifenplatzer. Peter wechselt mal eben in 5 Minuten und 20 Sekunden den Reifen und zieht das – sehr kleine – Notrad auf.

„Wann kommt die nächste Stadt?“, frage ich.
„So 100km.“
„Oh, da haben sie ja einen langen Weg vor sich, die können doch maximal mit 40-50km/h mit dem kleinen Rad fahren“.   
Peter schmunzelt. Die Frau hätte erzählt, dass sie mit dem Kleinwagen schon vorher nicht schneller fahren konnten auf der Schotterpiste. Das wird ein langer Weg.

In dem flachen Wüstenland flimmert die Luft, in der Ferne sehen wir spiegelnde Seen mit Büschen und Bäumen darin. Aber mit jedem Meter, den wir näherfahren, entfernt sich der See, bis an seiner Stelle nur noch Sand und Steine bleiben. Eine Fatamorgana. Keine Einbildung, sondern eine durch Hitzeflimmern hervorgerufene Illusion.

Die Straße zieht sich unendlich gradeaus durch die Wüstenebene. Links und rechts tauchen Fabrikzuwege auf, Zufahrten zu den Uranfeldern der Namib (, die sich in chinesischer Hand befinden); Namibia, der zweitgrößte Uranexporteur der Welt. Der Straßenschotter verschwindet, die Straße glänzt schwarz. Statt Asphalt wurde die Straße mit einem Mineralien-Salz-Gemisch befestigt; gut zu fahren, außer bei Nässe.

Nach einem kurzen Mallbesuch (Toilettengang…man kennt das) in Walvis Bay sind es nur noch wenige Kilometer direkt zwischen den großen Sanddünen der Namib und den Wellen des Atlantik Richtung Swakopmund. Grade ist keine Weihnachtszeit, so ein Glück – denn um Weihnachten herum wird diese Straße zu einer der gefährlichsten Straßen Namibias: Viel Verkehr, viel Staub, viele Unfälle. An einigen Townships vorbei erreichen wir Swakopmund (ca. 45.000 Einwohner, Hauptstadt der Region Erongo in Namibia).

Eine ganz kurze Stadtrundfahrt führt uns durch die „deutscheste“ Stadt Namibias, Relikte des Kolonialismus überall. Am Hohenzollernhaus, einem Gebäude im Stil des Neobarock, vorbei am Leuchtturm und einem kleinen Souvenirmarkt der Himbafrauen fahren wir zu unserer Unterkunft Sea Breeze Guest House. Schnell bringe ich den Rucksack auf das Zimmer, ich brauche Meer! Auch hier ist das Grundstück mit einem hohen Gitter gesichert, dank Chip öffnet sich das Tor, einmal quer über die Baustelle, die Straße runter, Sand und Steine unter den Schuhen, der Atlantikwind mit der Kühle des Benguela-Stromes weht mir um das Gesicht.

Abends gehen wir alle gemeinsam in ein Restaurant, aber irgendwie ist mir nicht gut. Es ist mir zu laut, zu eng, ich fühle mich nicht wohl; mir tut der Hals weh. Schnell gehe ich in guter Begleitung nach dem Essen zurück ins Gästehaus. Es bahnt sich etwas an. Das Zimmer im Sea Breeze Guest House ist klein, einfach und komfortabel. Ich schlüpfe schnell zum Schlafen unter die Decke.

31.03.2023 – Swakopmund – Omaruru / Gästehaus Etendero

Einmal Ibuprofen zum Frühstück, dazu Malariaprophylaxe und eine Tasse Tee. Heute ist wenig Zeit, unsere Gruppe trennt sich in Katamaranfahrer und Stadtspaziergänger. Auf der Fahrt zum Hafen in Walvis Bay bin ich beeindruckt: Der Verkehr fließt an großen Kreuzungen ohne Ampeln; lediglich eine Zahl am Stopschild zeigt an, wieviele Straßen sich kreuzen. Die Häuser haben deutsche Namen: Meeresbrise, An der Mole, An der Welle… und mittendrin sitzen Himbafrauen traditionell gekleidet an einem Stand und verkaufen Souvenirs. Die Katamaranfahrt wird direkt mit mobilem Kartengerät am Kai bezahlt. Bei streikender Karte sammle ich das letzte Bargeld zusammen.

Auf dem Katamaran sitzen wir vorne und es wäre eigentlich schön, wenn die Wolken ziehen und sich die Sonne zeigen würde; ordentlich frisch, auch mit extra Fleece-Decke. Für Unterhaltung an Deck sorgen zwei zahme Seehunde und drei Pelikane, die im Landeanflug Köpfe streifen, über die Deckschrägen rutschen, und sehr viel Unrat über Decken und Deck verteilen. In der Ferne klingt von der Sandbank Radau: Was für ein Trubel in der Seehundkolonie! Junge Seehunde schießen um uns herum aus dem Wasser, auf der Sandbank machen sich zwei Schakale über verstorbene Seehunde her. Im Wasser taucht ein kleiner Molamola (Mondfisch), der seine 2,3 Tonnen Gewicht noch erreichen möchte.

Auf der Rückfahrt zum Hafen kommt langsam die Sonne raus und wir genießen die Wärme. Mit einer Stunde Verspätung fahren wir nach Swakopmund zurück; bestimmt sitzt unser Guide mit den anderen schon auf Kohlen, denn heute wollen wir noch  300km weiter nach Omaruru. Zurück in Swakopmund reicht die Zeit grade für den schnellen Gang zum „Wasserloch“, unser Bus ist schon bereit zur Abfahrt. Auf nach Omaruru!

Auf der Fahrt wimmelt es von Stammesvertretern, zumindest in den Infos von Peter: Die San, die „Buschmänner“ und ersten Einwohner Namibias, reiben sich mit Mangan schwarz, die San-Frauen mit Eisenoxid rot ein; böse Geister lassen sich so abschrecken. Über den Ursprung der Damaras wird spekuliert , aber auch sie gehören wie die San zu den ältesten Siedlern des Landes. Die Gebiete der Damara sind nicht eingezäunt und gehören dem gesamten Stamm; Einzelpersonen können gegen eine jährliche Gebühr an das Volk Land bekommen. Eine Lodge in solch einem Gebiet zu kaufen geht nicht auf Bankkredit, denn die Bank kann dieses Land mit der Lodge nicht als Sicherung nehmen. Die Damara leben von Ziegen- und Eselzucht, die wichtig für Transport und Nahrung sind. Einmal im Jahr, zum Damarafest, kommen alle zusammen und die Frauen kochen Eselfleisch im Kochwettbewerb. Heute leben die Damaras in meist – nach unserer Einschätzung – ärmlichen Verhältnissen, aber Peter relativiert: Die Damara leben seit hunderten von Jahren so; auch seien viele Damara Akademiker.

Die Namibia-Politik sei besonders, Partei und Präsident werden gewählt, jeder darf sich für das Präsidentenamt aufstellen lassen. Voraussetzung: Verheiratet und Staatsbürger muss man sein. Wir sind uns einig: unser Guide soll sich aufstellen lassen.

Wir fahren über eine endlose, einspurige Autobahn; ganz schön viel Lastwagenverkehr hier im Vergleich zur Strecke der letzten Tage. Der Lastwagen vor uns fährt extrem auf den vor ihm fahrenden auf, schert dann zum Überholen auf die Gegenspur aus und …der entgegenkommende Kleinwagen kann grade, aber so knapp grade noch von der Straße ins Sandbett ausweichen. Das war eine knappe Geschichte.

Das Land wird wieder grüner, überall Termitenhügel in unterschiedlichen Farben, der Boden dicht mit Büschen bedeckt. Omaruru ist bekannt für seinen Staudamm, der den Fluss daran hindert, ins Meer zu fließen. Ich finde, Omaruru sollte auch bekannt sein für seine Kuhgatter! Auf dem letzten Abschnitt zu unserer Gästefarm im omaruruischen Busch beginne ich meine Ausbildung zur Gatteröffnerin: Aus dem Bus rausspringen, Gatter mit chinesisch anmutender Puzzlekombination öffnen, Bus durchfahren lassen (Lasst mich hier nicht stehen!), Gatter schließen, in den Bus reinspringen und mit Karamba die Bustür zuknallen. So richtig, dass es scheppert. Zwischen den AusdemBusspringGatteröffneAktionen setze ich mich nur noch im Bus auf die Stufe…dieses ganze Hinsetzprozedere dauert zu lange, die Gatterabstände sind zu kurz.

Etendero, eine Farm irgendwo im Nirgendwo mit 40km Busch drumherum. Vielleicht liegt es an dieser Abgeschiedenheit, dass der Besitzer sein Deutschtum doch sehr umfassend pflegt: Von Eiche rustikal bis zu deutschem Fernsehen und deutschen Zeitungen. Die Schilder „Deutsches Schutzgebiet“, die sich auf die Kolonialbereiche der Deutschen beziehen, und an der Bürotür und an der Eingangstür hängen, hinterlassen ein schales Gefühl. Die Zimmer sind groß, zweckmäßig eingerichtet.

Alle wandern zum Sundowner auf den Hügel; ich nicht, ich fühle mich schwummerig. Die Ibuprofen Tablette von heute morgen ist raus. Der Besitzer nimmt mich oben auf seinem Pickup mit auf den Hügel zum Sundowner, der Wind weht mir um die Nase, als der Wagen sich den Berg hochschaukelt. Die Aussicht von Oben ist großartig! Weite, und irgendwo mittendrin die Farm. Nach einem Getränk und etwas Small-Talk laufen wir gemeinsam den Hügel wieder hinunter; die Sonne ist verschwunden und der Himmel färbt sich lila.

Ich würde jetzt grade so gerne einfach noch weiter, weiter laufen.

Ich liebe diese Stille und dieses Licht; ich möchte von tief innen heraus alles in mich aufnehmen, alles aufsaugen, inmichhineintrinken.

Bei Eiche rustikal und Jagddekoration bekommen wir im mehr als deutschen Wohnzimmer ein bis auf das Gnu doch sehr deutsches Abendessen einschließlich Schokopudding. Wir sitzen noch etwas draußen auf der Terrasse, danach sitze ich allein vor meinem Zimmer – es wird ruhig auf Etendero, nur der Fernseher im Haupthaus plärrt leise auf Deutsch vor sich hin.

01.04.2023 – Omaruru – Fransfontain / Gästefarm Gelukspoort

Die Nacht ist nicht so erholsam; Kopfschmerzalarm. Ich bin früh wach, wieder einschlafen geht nicht. So sitze ich wieder draußen auf der Stufe und höre zu, wie die Farm erwacht. Kühe muhen, Vögel zwitschern. Auf Etendero werden 200 Rinder auf einem riesigen Gelände mit 50km Außenzaun gehalten, von denen sehen wir nichts. Zum Abschied von Etendero bin ich wieder Gatteröffnerin und als besonderer Beweis meiner fachlichen Qualifikation knallt 5 von 5 Malen die Bustür erfolgreich zu. Applaus!

Wir fahren wieder namibische Autobahn, und Peter Adlerauge ruft ein Schimpfwort aus, wendet und setzt den Bus ein Stück zurück. Ein anderes Auto hat ein Chamäleon überfahren, aber als er ankommt, um nachzusehen, stirbt das schöne Tier.

Wir fahren aus dem kommunalen Gebiet in das Landgebiet der Hereros. Ursprünglich wie die Himba und San unbekleidet, tragen sie seit ihrer Missionierung bunte Kleider. Mit ihren nach oben gebogenen Hörnern an den Hüten der Frauen drücken sie ihren Respekt für ihre Rinder, ihre Lebensgrundlage, aus. Auch für die Himba sind diese Tiere im Leben von zentraler Bedeutung: Sie sind ihre Sparkasse. Rinder werden als Brautgabe gegeben, ohne wird nicht geheiratet. Auf diesem Land stehen die Kühe ohne Zaun, und auch schon mal auf der Straße; kontrolliert werden sie über Wasserstellen.

Wir machen einen kurzen Zwischenstop am ersten Elefantenschild. Ob wir welche zu sehen bekommen?

Der Brandberg, der höchste Berg Namibias, begleitet unsere Fahrt in der Ferne. Hier gibt es über 2000 Jahre alte Wandmalereien und es stellt sich raus: Was jahrelang für eine weiße Dame gehalten wurde, ist ein von Buschmännern gezeichneter Mann, vielleicht ein Schamane mit weiß gefärbten Beinen.

Am Straßenrand stehen aus Ästen einige grob gezimmerte Unterstände, in denen Himba- und Hererofrauen Souvenirs an vorbeifahrende Touristen verkaufen. Auch unsere Gruppe hält, und vor dem Besuch der Stände bekommen wir vom Guide Instruktionen: Wenn, dann an alle Stände gehen. Fotos sind erlaubt, aber nur gegen Geld. Die Gruppe, die sonst schnell aus dem Bus raus ist und sich verstreut, wirkt zögerlich. Ich gehe von Stand zu Stand und mache mir meine Gedanken –  die Frauen verkaufen hier Souvenirs. So einfach könnte es sein. Ist es aber nicht. Kaufen wir hier das Gefühl von „Exotik“? Ich schaue mir einen kleinen Holzaffen an und mache eine Handbewegung, ihn zurückzustellen. Eine Hand schnellt vor, hält meinen Arm in der Bewegung fest. Ohne dass ich ein Wort sage, handelt die Himba-Dame den Affen selber runter…300? 250? Ich kaufe ihn nicht, sondern gebe ihr Geld für ein Bild. Und denke dabei: Eigentlich sollte es so nicht sein. Denn eigentlich, so denke ich, tragen diese Menschen ihren Stolz auch in anderen Dingen (oder Tieren). Und gleichzeitig ist es so: Touristen sind Einkommen. Auch die Menschen der verschiedenen Stämme Namibias sind von den Wandlungen der Zeit und ihren neuen Herausforderungen extrem betroffen. Das, was teilweise Jahrtausende in extremer Anpassung an das Land, seine Landschaft und Bedingungen schon fast symbiotisch war, funktioniert heute nicht mehr. Das Land ist durch Zäune zergliedert, auch Namibia hat technologischen Fortschritt, mit allen Konsequenzen, die dazugehören. Die Frau, bei der ich das Bild kaufe, wirkt jung, das Mädchen neben ihr fast gleich alt. Das Mädchen sei ihre Tochter, nickt sie. Aber ich glaube, sie hat mich nicht verstanden. Wie wir als Touristengruppe wohl andersherum auf diese Frauen wirken?

Bei der Weiterfahrt entdeckt Peter erste Spuren am Straßenrand: Elefantentritte! Auch die Zäune am Straßenrand sind mehr und mehr niedergetrampelt. Nur Elefanten sehen wir noch nicht. Wir machen noch eine kurze Pause in Khorixas, der Hauptstadt der Damara, und dann wartet vor unserer Ankunft bei der nächsten Gästefarm in Gluuksport nur noch eine Aufgabe auf mich: Durch sieben Gatter musst du geh’n.

Die Lodgeanlage von Chrissi und ihrer Familie, in 4. Generation Deutsche in Namibia, ist fantastisch! Ein offenes Reetdachgebäude als Treffpunkt mit Garten und kleinem Pool, dahinter die jeweiligen Lodges. Alles ist sehr geschmackvoll eingerichtet. Schnell freunde ich mich mit den beiden Ridgebacks an. Bei der Sundowner-Tour durch den Busch sehen wir keine neuen Tiere, aber nach der wunderbaren Aussicht von oben macht es viel Spaß, im Lichtkegel der Scheinwerfer wieder durch den dunklen Busch zurückzufahren. Zum Abendessen sitzen wir gemeinsam mit dem Sohn der Farmbesitzerin am Lagerfeuer,  und lernen ein bisschen über das Schulsystem, das Internatsleben auf einer Schule mit 30 Schülern und Wochenendfahrten nach Hause, bei denen allein die Zufahrt zur Farm 30 Minuten und sieben Tore dauert. Zum Abendessen ist wunderschön eingedeckt und heute probiert die Teilzeit-Vegetarierin Oryx-Steak. Nach dem Abendessen lassen wir in kleiner Gruppe den Abend am Lagerfeuer ausklingen.

02.04.2023 – Fransfontain – Okaukuejo [Etosha Andersson-Tor] / Etosha Village

Wieder unterwegs. Und es reiht sich Termitenhügel an Termitenhügel, mit den Spitzen so ausgerichtet, dass im Inneren des Hügels immer 28-30 Grad herrschen. Einige Termiten sind Burgbaukünstler, andere schreddern Holzstöcke auf dem Boden. Und wenn die Termiten aus ihrem Bau ausgezogen sind, wird dieser zur Wohnung für andere Tiere wie die schwarze Mamba.

In der Ferne steht Rauch über dem Busch – es wird Kohle produziert, die auch auf unseren heimischen Grills im Sommer landet. Die ersten Gnus und auch Marabus am Himmel begleiten unseren Weg Richtung Etosha Nationalpark. Heute kommen wir im Etosha Village unter, und nach den Geschichten unseres Guides zu Schlangen, die aus Klimaanlagen kriechen, und anderen, die ahnungslosen Touristen Gift in die Augen sprühen, muss ich mein Zimmer ersteinmal auf Schlangeneinflüsse untersuchen. Das Badezimmer, das mit Holzästen dekoriert ist, ist da keine Erleichterung.

Nach einer kurzen Nachmittagspause fahren wir mit Guide Jackson endlich auf „richtige“ Safari. Wir sehen Zebras, Gnus, Springböcke, Erdhörnchen, Hyänen, einen Sekretärvogel im schicken Anzug. Eine Löwenfamilie mit zwei Junglöwen liegt unter einer Akazie, gähnt und streckt sich in Katzenmanier. Eine Giraffe, ein Kamelpferd, schreitet in der Ferne vorbei – ich bin so beeindruckt, ich hätte nicht beeindruckter sein können, wäre ein Dinosaurier hier vorbeigelaufen. In der Ferne fällt Regen und ein Regenbogen steht über Etosha.  Das Spitzmaulnashorn in der Matschpfütze sieht aus wie ein ruhender Fels, ein entzückender Rücken. Es steht auf, dreht sich und lässt sich wieder in den kühlenden Matsch fallen.

Die Guides tauschen sich auf der Strecke aus, wenn sie aneinander vorbeifahren. Wer hat wo Elefanten gesehen? Jackson findet sie alle! Die Springböcke in der riesigen Herde sehen aus, als würden sie mit allen vier Beinen gleichzeitig vom Trampolin hochspringen. Nach Pumba Warzenschwein und ein paar Straußen, die vor unserem Auto herlaufen, halten wir staunend am Wasserloch. Schichtwechsel bei den Elefanten: Zwei Elefantenherden mit sicher 40 Tieren, klein, groß, jung, alt, wechseln sich am Wasserloch ab – die eine Herde kommt, die andere muss gehen. Tiefe Brummlaute geben die Elefanten von sich, der Herdenwechsel verläuft friedlich.

Als sich die erste Herde davonmacht, fährt Jackson zum Laufpfad der Elefanten und schaltet den Motor aus. Die Leitkuh stoppt und tritt ein Stück an die Seite, sie schätzt die Lage ein. Und dann, dann werden wir im Auto alle ganz leise: Die gesamte Herde schreitet langsam in Reihe an uns vorbei. Der letzte Elefant schaut sich noch einmal um, dann verschwindet die Herde im Busch. Ich bin ein bisschen ehrfürchtig, ich bin hier zu Gast und durfte zuschauen. Wir fahren alle sehr, sehr glücklich zurück.

03.04.2023 – Okaukuejo – Grootfontain / Gästehaus Seidarap

Abfahrt. Heute geht es quer durch den Etosha Nationalpark. Wenn wir Peter fragen, wie lange, lacht er und sagt „um die Ecke“ oder „von hier bis da“. Zeitangaben sind hier relativ. Ob wir heute einen Leoparden sehen? Die Elefanten von gestern kann sonst nichts mehr toppen.  24.000 Quadratkilometer, eigentlich riesig, ist der Park immer weiter zusammengeschrumpft. Gegründet 1905 in deutscher Kolonie zum Schutz gegen Großwildjäger als „Wildpark Nummer 2“. Heute ist Etosha eingezäunt mit gut 800km Zaun – aber weil die Instandhaltung kaum möglich ist, finden die Tiere ihre Schlupflöcher. Die Bewegung der Tiere wird durch künstliche Wasserstellen reguliert. Im Unterschied zum Krüger Nationalpark in Südafrika sei hier alles noch nicht so sehr touristisch, erzählt unser Guide; hier seien es 105 Dollar Eintritt, in den Krüger 400. Bis auf das Breitmaulnashorn, das aus dem Krüger „importiert“ wurde, gebe es nur einheimische Tiere. Im Park gibt es nicht nur Grün und Braun und Grau, auf unserem Pfad wachsen viele kleine gelbe und weiße Blumen, die auch von den Tieren gefressen werden.

Interessant: Seinen Namen verdankt der Etosha Nationalpark der 4760 Quadratkilometer großen Salzpfanne mit dem gleichen Namen, der aus der Sprache der Ovahimba übersetzt „großer weißer Platz“ bedeutet.

Es ist schon irre, was Peter alles unterwegs beim Fahren sieht (ich wäre bestimmt 15x vorbeigefahren). In der Ferne schreitet eine Giraffe zum Wasserloch. Sie steht, wir warten geduldig. Eine große Herde Gnus und Antilopen folgt ihr zum Trinken. Langsam beugt sie sich mit ihrem langen Hals hinunter…als Giraffe ist der Weg zum Wasser auf dem Boden weit.

Auch im Bus haben wir inzwischen fließend Wasser: Unsere Klimaanlage läuft aus und das Wasser tropft aktuell in der ersten Reihe aus der Lüftungsanlage. Wir machen eine kurze Zwischenrast. Wachsen Mopanebäume mit den Herzblättern eigentlich auch in Europa? Eine Giraffe läuft ein kurzes Stück nebens uns her, eine „schwangere ältere Dame“ sagt unser Guide, und in meinem Kopf summt – zugegeben etwas klischeehaft – Circle of Life.

Manchmal taucht man auf einer Reise ein Stück Herz gegen ein Stück Erinnerung.

Tante Reisefieber in Namibia

Während Etosha Ost unglaublich grün mit mehr Wasser ist, wirkt West karger und trockener. Ich könnte im offenen Auto fliegen, aber werde nach einer Weile ermahnt: Arme aus dem Auto im Nationalpark hängen ist verboten. Wir hangeln uns von Raststation zu Raststation. Nach 12h Fahrt landen wir schließlich in Seidarap – rückwärts gelesen „Paradies“. Und was für eines!

Alex und Martin, die beiden neuen Besitzer dieses wunderschönen Gästehauses, heißen uns herzlich willkommen; wir sollen uns „Zuhause fühlen“. Und tatsächlich habe ich hier dieses Gefühl sofort. Ich schmeiße meine Sachen aufs Zimmer, und lerne dieses alte Farmhaus im „irgendwie Kolonialstil“ von ca. 1930, das jetzt als Gästehaus betrieben wird, kennen. Häuser haben eine Seele, und hier machts bei mir klick. Ich fühle mich sofort wohl. Alles ist antik, alles ist etwas staubig, etwas durcheinander. Nichts ist poliert, außer das Geschirr auf dem Tisch. Die Räume sind voll mit alten deutschen Möbeln und sehr vielen Antiquitäten, im Foyer stehen zwei Klaviere, eines ungestimmt und völlig schief, eines gestimmt und völlig abgespielt, beide wunderschön. 40 Hektar Farmland sind zu groß zum Erforschen, aber allein der Garten ist mein Traum; ein paar alte Ruinen einer ehemaligen Nuriazucht, ein großer „Naturpool“ im dem Frischwasser gesammelt ist, ein Swimmingpool, ein Trampolin und eine Schaukel. Ich weihe das Trampolin ein und es ist mir in dem Moment so egal, falls irgendjemand darüber schmunzelt. Als ich auf der Schaukel sitze, packt mich ein bisschen Wehmut, denn mit stundenlangem Schaukeln am warmen Sommerabend verbinde ich ein paar Erinnerungen, die jetzt nur noch dieses sind. Martin hat heute Abend für uns fantastisch gegrillt und gekocht, und zum ersten Mal auf dieser Fahrt bekommt die Teilzeitvegetarierin ein mit Kreativität und Mühe zubereiteten Ersatz. Jetzt fühle ich mich noch mehr Zuhause. Unsere Gruppe löst sich bald nach dem Abendessen auf. Die Flughunde fliegen um das Haus.

04.04.2023 – Grootfontain / Gästehaus Seidarap

Heute dürfen wir ausschlafen und Frühstück gibt es um 9:00 Uhr! 9:00 Uhr! Natürlich wache ich trotzdem um 7:00 Uhr auf. Ich schmeiße mich in die Schwimmklamotten und steige in das 27m Naturbecken.

Es ist fantastisch! Morgendunst steigt vom Wasser auf, das in der Sonne glitzert. Im Hintergrund steht das Wasserrad. Im Teich schwimmen Kois und andere kleine Fische, die mich nicht stören, und ich sie nicht. Das Becken ist tief, stehen kann ich nicht – und den Versuch, mich am Rand zu halten mache ich nur einmal und nur so lange, bis ich mit den Füßen in riesige glitschige Algen / Pflanze? mit tellergroßen Blättern trete. Ich drehe ein paar Runden und lasse mich auf dem Rücken treiben. Ich schaue in den Himmel.

Nach unserem kleinen Frühstück fahren wir ins Living History Museum zu den San, den Buschmännern (und –frauen). Heute ist der Duschplatz im Bus meiner; die Klimaanlage ist weiter undicht, das Wasser blubbert in Blasen aus den Lüftungsöffnungen. Eine kurze Rast an einer Landstraße, heute ganz ohne Komfort, nutzen wir zum „Buschibuschi“, den letzten Handyempfang zu einem Telefonat und die Zeit für eine Zigarette. Vorbei an einem Kalahari-Ferrari (Pferdegespann) passieren wir einen Tiergesundheitscheckpoint. Unsere Kühltruhe im Bus ist schon lange leer und ohne Eis. Eine kurze Kontrolle, wir fahren weiter.

Bei den San beobachte ich die gleiche Zurückhaltung wie schon bei den Himba – wie begegnet man sich, wenn man doch aus sehr unterschiedlichen Lebenswelten kommt und man selbst derjenige ist, der sich fremd fühlt? Einer der San-Männer übersetzt für uns auf Englisch; wir machen gemeinsam einen kleinen Buschspaziergang, auf dem wir über Medizinpflanzen lernen. Ich versuche, Namen mit den Frauen auszutauschen – wir stellen uns vor und lachen.

Gemeinsam Lachen ist etwas Wundervolles – es verbindet ohne jeden Sprachkurs (zumal die Klicklaute der San für mich nicht nachzuahmen sind). Kasha fragt, ob ich mit ihr zusammensitze, als wir uns alle zum Perlenkettenbasteln für die Frauen und Bogenbauen für die Männer aufteilen. Die Farben, die sie mir beibringt, vergesse ich leider schnell wieder. Aber das Armband nehme ich gegen Obulus mit. Gtshaa! –  Gut gemacht, rufen wir uns zu und lachen wieder.

Auf dem Rückweg halten wir außerhalb einer kleinen Farm, der Guide fährt den Bus im Sand fest und ein kleines Picknick wird aufgebaut. Unsere Hände waschen wir heute „ganz natürlich“ mit einer seifenden Pflanze, vielleicht Seifenkraut? Wir essen, und der Guide schaufelt erstmal den Bus frei.

Auf der Rückfahrt genieße ich diese doch eintönige Straße in vollen Zügen, denn morgen ist unsere letzte Fahrt; unsere Reise nähert sich dem Ende. Auf Seiderap führen Alex und Martin uns noch einmal herum zu den Eseln, Pferden und Hühnern. Dieser Fleck namibisches Land ist wirklich reich – alleine vier Wasserquellen, die Pflanzen, Tiere und Menschen versorgen, sind absoluter Überfluss. Granatapfel, Papaya, Mango… Leichter macht dieser Rundgang mir den Abschied jetzt nicht. Vor dem Abendessen zeichnet Peter unsere Tour in große Straßenkarten für uns ein; ich freue mich sehr über das geschenkte Exemplar, und wir alle setzen uns mit ihm als Gruppe noch einmal zusammen. Die ganze Reise war toll, aber gefüllt hat diese Reise unser Guide mit Umsicht, Sorgfalt, hoher Verbindlichkeit und ganz viel Wissen. Bei einem letzten gemeinsamen Abendessen sitzen wir zusammen und auch heute sorgen eine extra „Veggie-Etosha-Pfanne“ für die Teilzeitvegetariern und eine milchfreie Dessertvariation bei Milchintoleranten für große Freude. Ich denke mir: Eigentlich wäre es schön, wenn der Guide uns nicht nur am Flughafen abholen, sondern auch wieder dahin zurückbringen würde. Renate lächelt mitfühlend; man sieht mir die Abschiedsgedanken an.  

05.04.2023 – Grootfontain – Windhoek / Onjala Lodge

Von Martin und Alex verabschieden wir uns mit Umarmung für alle. Dieses Gästehaus war mit Abstand meine Lieblingsfarm. Diese familiäre Herzlichkeit, die kleinen Besonderheit, der Rundgang über den Hof. Beim nächsten Mal Namibia muss ich hier unbedingt noch einmal hin.

Die letzte Fahrt in unserem Ruckelbus, der – zumindest mir – trotz kleinerer Mängel sehr ans Herz gewachsen ist. Schotterpiste im Ruckelbus ist mein absolutes Vergnügen. Über Hochfeld, wo wir noch einmal pausieren, fahren wir zur Onjala Lodge in der Nähe von Windhoek. Das Gras vor dem an unserem Bus vorbeifliegenden Zaun ist dicht und noch etwas grün. Hinter dem Zaun gibt es nur trockenen Boden. Zu viele Tiere, besonders Ziegen und Schafe auf zu wenig Platz.

Wenn die Orte hier keine Namen haben, fangen sie sehr häufig mit „O“ an …“O“, das ist. Okari, Okawango…

Endlich wieder namibische Autobahn auf dem Weg zur Onjala Lodge! An den Manganminen vorbei Richtung Hochfeld. Etwas sieht es hier aus wie in Deutschland im Hochsommer; eine Feldstraße, links und rechts braunes Gras, blauer Himmel. Dazu Weite, ein paar Bäume und Maisfelder. Unglaublich, dass nur wenige hundert Kilometer absolut karge Landschaft ist!  Dieses Farmland hier muss ein Vermögen kosten.

Mir geht durch den Kopf: Alle Orte sind da, auch wenn ich wegreise. Und diesen Gedanken mag ich sehr. Mir geht auf dieser Reise überhaupt vieles durch den Kopf.

Tante Reisefieber in Namibia

Wir passieren das Tor der Onjala-Lodge. Ich bleibe im Bus sitzen, das Tor öffnet elektrisch. Noch 3km über das Farmland, dann ist unsere gemeinsame Reise zu Ende. Wir fahren auf die Auffahrt der Lodge, Peter zählt Kilometer zusammen, Abschiedsapplaus. 2880km hat er uns sicher und aufmerksam durch das mittlere Namibia gefahren, Stunde um Stunde um Stunde. Und Piste um Piste.

Wir steigen aus und erhalten unsere Zimmer zugeteilt. Einen kurzen Moment ist noch Zeit für unser gemeinsames Gruppenfoto. Das muss einfach. Herzlich verabschieden wir unseren Guide mit Händedruck und Umarmungen; er hat diese Reise bereichert mit Wissen und viel Herz für dieses schöne Land. Er wirft den Bus an, wir winken hinterher, weg ist er. Eine Geste ‚wir telefonieren‘. Abschied in kleinen Etappen.

Nach einem Sundowner mit tollen Ausblicken in  die Bergausläufer machen wir einen sehr kurzen Gang zum kleinen Planetarium, einer Kuppel mit Teleskop, hören dem Sternenguide zu, wie er uns das Kreuz des Südens als Giraffenkopf erklärt, und schauen durch das Teleskop auf den Mond. Beim Abendessen fehlt uns die abendliche „Programmansprache“ von unserem Guide. Essen in Onjala enttäuscht, es gibt genau eine Mahlzeitoption, für Vegetarier wird Fleisch weggelassen, Veganer sind hier im k.o.

Insgesamt schraubt Onjala die Erwartungen hoch und kann sie nicht erfüllen. Das Essen ist unpersönlich, alle bekommen das Gleiche am Tisch serviert, das Auftischen dauert lange. Die Zimmer sind alt, teilweise mit Defekten. Onjala ist eine schöne Gästeanlage, die aussieht wie eine kleine Burg. Der Name hat irgendwie viel versprochen, aber emotional berührt mich der Ort nicht so sehr, vielleicht zum Runterfahren nach den vielen Eindrücken ideal.

06.04.2023 – Windhoek / Onjala Lodge

Der Graulärmvogel mit seiner Stehfrisur ruft von meinem Balkon“ goaway“. Wir stehen früh auf. Bei einem Sonnenaufgangsspaziergang überrascht uns das Hotel mit einem Überraschungsfrühstück auf dem Hügel bei wundervoller Aussicht. Erst um 17:00 Uhr haben wir wieder Programm. Es fällt mir schwer, die Füße still zu halten, dieser Tag fühlt sich für mich vergeudet an. Bei der kleinen Sundowner-Safari sehen wir noch einen Graugeist, ein Kudu, der im Busch mit seinen Hörnern kaum zu erkennen ist. Die untergehende Sonne färbt das Gras leuchtend rot und den Himmel lila. Auf der anderen Seite geht der Mond zugleich auf, riesig groß und hell leuchtend.

07.04.2023 – Windhoek, Namibia – Frankfurt, Deutschland

Ich könnte heulen. Ich sitze zum vorerst! letzten Mal im namibischen Sonnenaufgang, der sich über den Hügelkamm meines kleinen Lodgezimmers schiebt. Der Himmel leuchtet heute goldenorange, eine Wolke hängt über dem Hügel. Die Fledermäuse drehen ihre letzten Runden, jetzt übernehmen die Vögel. Es schilpt und zwitschert im Busch vor meinem Balkon. Langsam trinke ich die Tasse Tee. Man kann sich in ein Land und seine Landschaften verlieben, das geht, persönlich getestet.

Unsere Reisegruppe geht langsam auseinander, die ersten Freunde verabschieden sich. Nach einem gemeinsamen letzten Frühstück begleite ich beide zum Bus für einen Abschiedswunsch und Winketanz. Ja, Abschied finde ich zum Weinen. Um 10 sind wir alle aus den Zimmern raus und hängen auf den Liegen am Pool rum. Unsere Abfahrt zum Flughafen ist erst um 15.00 Uhr.

Never change a running System. Unser Bus zum Flughafen ist voll, also fahre ich im Bus einer anderen Reisegruppe mit.Der Fahrer fährt einen Affenzahn, die Fahrt kann ich nicht genießen. Immer wieder schaue ich auf den Tacho…70, aber es klappert wie bei 230. Bin ich dankbar für Peter als Fahrer auf der Tour und unseren alten Klapperbus! Der Fahrer schaltet wieder rauf und runter, die Schaltung greift nicht und im Gefälle wird weiter beschleunigt. Kurz darauf schaltet er im Leeren, der Bus wird langsamer und bleibt stehen. Ich steige auf Aufforderung aus – und wechsele in den anderen Bus, der in unserer Staubwolke langsam aufgetaucht ist. Ah! Guter Fahrer, besseres Fahrzeug und ich kann die letzten Kilometer namibische Autobahn in vollen Zügen genießen. Am Flughafen in Windhoek geht alles sehr schnell: Koffer raus, rein ins Terminal, Koffer abgeben, Sicherheitskontrolle, warten.

Wir sitzen in den hinteren Flugzeugreihen und haben Glück, viele Plätze bleiben leer und wir können uns ausbreiten. Ein schöner Vogel ist der A330-200, die Innenausstattung ist ganz neu. Ich richte mich gemütlich in meiner Zweierreihe ein. Wir starten mit Turbulenzen, aber dafür auch mit dem längsten Sonnenuntergang der gesamten Reise. Es dauert lange, bis auch das letzte Rot aus dem Himmel verschwunden ist. Die Sterne leuchten, und unter uns die Schiffe auf dem Meer.

08.04.2023 – Frankfurt – Zuhause

10 Stunden, gelandet. Unsere Gruppe löst sich schnell auf, Verabschiedungen am Kofferband, am Bahnhof, im Zug. Menschen sind auch wie Schiffe, treffen sich, winken sich zu, und fahren wieder auseinander. Und dann sitze ich im letzten Zug dieser Reise, der quietschend am Bahnhof hält. Ich bin wieder da. Und mein Kopf noch nicht.

Nachtrag

Seit acht Wochen hat der Alltagstrott mich wieder. Zuhause, Arbeit, Freunde treffen, Hobbies verfolgen. Aber bis jetzt wirkt diese Reise nach. Jeden Tag kommen mir Situationen, Momente und ganz bestimmte Ausblicke in die Landschaft in den Kopf. Ich schreibe, poste Videos und sichte Fotos. Und ich habe Zeit auf den Weg gebracht und mich endlich dazu durchgerungen, ein Lebensarbeitszeitkonto bei meinem Arbeitgeber einzurichten, um mehr Zeit zum Reisen zu haben. Ein paar Kontakte zu Mitreisenden sind entstanden, mit Freundschaftspotential, auch, wenn wir sogar auf unterschiedliche Länder verstreut sind. Ich habe ja dann mehr Zeit zu reisen…

Meine Bewertung:

Bewertung: 5 von 5.

4 Kommentare

  1. Kasia

    Dein schöner, langer Bericht hat einige Erinnerungen an Namibia wieder wachgerüttelt. Es war bislang eines der schönsten, afrikanischen Reiseländer, die ich bislang besucht habe. Traumhafte Lodges, Sonnenuntergänge, freundliche Menschen, surreale Landschaften. Und dieser stete Wandel in der vermeintlich leeren Weite. Namibia hält viele Wunder bereit. Und platte Reifen, die hatten wir auch 😉

    1. Hallo Kasia,

      ja, oder? Es ist so eindrucksvoll und wunderschön! Welches afrikanische Land kommt in deiner persönlichen Reisehitliste auf Platz 2? Ich nehme gerne Empfehlungen an . Hast du einen Reiseebericht? Ich würde gerne Lesen! Ganz liebe Grüße!

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