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Die goldenen Zwanziger des letzten Jahrhunderts: Wirtschaftsaufschwung, Luxus und Lebensfreude. Und auch die abgeschiedenen Bergdörfer Zermatt und St.Moritz profitieren, denn die gehobene Gesellschaft sucht die Ruhe und Abgeschiedenheit der Berge. Aus kleinen Bergdörfern werden luxuriöse Kurorte, und aus der 1926 eröffneten Bahnstrecke Wallis-Graubünden die Wiege eines der prestigeträchtigsten Panoramazüge der Schweiz, des Glacier Express.
Reiseerlebnis Glacier Express
Zu Fuß gehen wir am Matterhorn vorbei durch den autofreien Ort Zermatt zum Bahnhof. Pünktlich um kurz vor Zehn steht der Glacier Express am Gleis in Zermatt bereit. Vorsichtshalber lasse ich vom Schaffner noch einmal das Ticket checken, weil ich nicht 100%ig sicher bin, ob es stimmt. Die getrennte Bucherei von Sitzplatz und Fahrticket für unsere Sitzplätze in der ersten Klasse war eine kleine Herausforderung.
Schnell finden wir im Zug unsere Sitzplätze und richten uns ein. Die riesigen Panoramafenster sind toll und wunderbar sauber, für die perfekte Aussicht. Der Platz neben mir bleibt vorerst frei, und so kann ich mich ganz auf die Dramen um mich herum konzentrieren – scheinbar war ich nicht alleine mit meiner Verwirrung beim Ticketkauf. Ein Pärchen hat zwar Sitzplatzreservierungen, aber keine Fahrkarten, ein anderer Herr hat zwar einen Fensterplatz gebucht, aber dann keinen bekommen. Das Reservierungssystem des Glacier hat so seine Tücken.
Zum reservierten Sitzplatz gibt es reserviertes Mittagessen à la Carte und wunderschöne Aussichten. Jeder Fahrgast bekommt außerdem Kopfhörer und ein Heft mit Infos und Streckenkarte, sodass man auf besondere Aussichtspunkte hingewiesen wird und viele interessante Geschichten hören kann.
Am Anfang der Strecke sind die Aussichten vergleichsweise unspektakulär, und so richtig toll wird es eigentlich erst ab Andermatt auf steiler Strecke mit tollen Ausblicken auf Berge und Täler.
Über 291 Brücken, durch 91 Tunnel und über den 2033 m hohen Oberalppass nahe der Quelle des Rheins an der Rheinschlucht vorbei fährt der Glacier Express und verbindet so Zermatt mit St. Moritz.
Ja, der Zug ist schief. Uns rutschen die Messer bei der steilen Abfahrt entgegen und als der Zugführer einmal etwas kräftiger zum Halten bremsen muss, rutschen auch die Flaschen vom Tisch. Die Zugbegleiterin jongliert derweil kunstvoll unseren Tee, der nur ein wenig überschwappt.
Ein Stück des Weges fahren wir an der Albulastrecke vorbei, die auch der Bernina Express befährt. Die Glacier Zugstrecke führt uns an wundervollen Landschaften, Bergwiesen, Dörfern, Gletschern und Brücken vorbei, aber mein Lieblingsabschnitt kommt erst kurz vor Ankunft in Chur, als wir in die Vorderrheinschlucht hineinfahren.
Die Engadiner Kinder treiben im Frühling beim Chalandamarz Brauch den Winter mit Schellengeläut aus. In der schweizer Kindergeschichte des Schellen-Ursli von Chönz / Carigiet (1945) bekommt dieser dazu nur eine kleine Glocke und wird von den Dorfkindern gehänselt. Daraufhin stapft er durch den Schnee den gefährlichen Weg zu einer Alphütte hinauf, um dort eine große Kuhglocke zu holen, während sich das ganze Dorf um ihn sorgt. Er kehrt jedoch sicher ins Dorf zurück und darf daraufhin, weil er jetzt die größte Glocke hat, den Kinderzug anführen. Und wer die Augen offen hält, kann den Schellen-Ursli auch in der Rheinschlucht entdecken.
Blaues Wasser, graue Felsen, mal sanft und dann immer wilder rauscht der Vorderrhein an uns vorbei, und wir an ihm. Und ein wenig bezaubernd finde ich die Idee, dass dieser Fluss von hier in der Schweiz bis zu mir nach Hause eine Verbindung ist, fließt der Rhein doch fast an meiner Haustür in Deutschland vorbei.
Wir fahren nicht bis nach St. Moritz durch, sondern steigen in Chur aus, wo wir in wenigen Tagen mit dem Bernina Express weiterfahren wollen. Und bis dahin werde ich die Rheinschlucht erkunden – zu Fuß.
Warst du schon mit dem Glacier Express unterwegs?
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Infos zur Tour mit dem Glacier Express
Von wo nach wo? Gefahren sind wir von Zermatt nach Chur, eine Weiterfahrt (natürlich ohne Umsteigen) wäre möglich gewesen. Die Gesamtdauer der Fahrt liegt bei ca. 8 Stunden; wir sind von Zermatt bis Chur ca. 5 1/2 Stunden gefahren.
Wo gibt es Tickets? Hier auf der offiziellen Seite des Glacier Express kann man Tickets (1. Klasse 210 Franken, ca. 196 Euro/ 2.Klasse 119 Franken, ca. 111 Euro) und Sitzplatzreservierungen (aktuell 33 Franken, ca. 30 Euro) (beides kostet jeweils einzeln) zusammen vornehmen, wenn die Fahrt innerhalb der nächsten 93 Tage stattfindet. Soll die Fahrt später stattfinden, kann man nur die Sitzplätze reservieren (kostenpflichtig), die Tickets muss man dann vor Reiseantritt entweder im Internet oder vor Ort am Schalter kaufen. Da ein Einzelkauf der Tickets über die oben genannte Webseite bei mir irgendwie nicht geklappt hat, habe ich die Tickets dann bei der SBB.ch (der Schweizer Bahn) gekauft. Wichtig: Unbedingt drauf achten, dass der gebuchte Zug der zu der vorher gemachten Reservierung passende ist! Es sind immer Ticket + Reservierung notwendig. Panoramazüge sind durch das Kürzel PE im Buchungssystem gekennzeichnet.
Welche Klasse? Wir sind in der ersten Klasse gereist, die etwas breiter ist als die zweite Klasse, weil nur drei statt vier Sitze und Gang nebeneinander sind. Außerdem gibt es tolle Panorama-Fenster. Ein Menü und Getränke mit Sitzplatzservice gibt es in beiden Klassen (extra zu zahlen). Würde ich wieder mit dem Glacier fahren, würde mir die zweite Klasse reichen, denn die Strecke ist aus meiner Sicht nur halb so schön wie die Strecke des Bernina Express. Ganz exklusiv und neu ist die Excellence Class im Glacier Express, bei der man neben einem Fünf-Gang-Menü die Bar und Conciergeservice genießen kann. Für die Excellence Class benötigt man ein normales 1.Klasse Fahrticket, dazu eine Excellence Class Sitzplatzreservierung; diese kostet aktuell 420 Franken (ca. 390 Euro).
Mittagessen im Glacier Express: Man kann, muss aber nicht im Glacier Express Mittagessen (kostet zusätzlich). Bei der Sitzplatzreservierung hat man die Möglichkeit, zwischen diversen Menüs auszuwählen und diese direkt mit der Sitzplatzreservierung zu zahlen. Alternativ kann man auch À la Carte wählen, was bedeutet, dass man sein Essen nach Menükarte im Zug auswählt und erst dann zahlt. In jedem Fall sollte man vorangemeldet haben, dass man auf seiner Zugfahrt etwas essen möchte.
Gibt es Rabatte? Es gibt diverse Spar-Karten, mit denen man einzelne Attraktionen und den Nahverkehr reduziert oder kostenlos nutzen kann. Die Fahrt im Glacier-Express in der zweiten Klasse ist je nach Karte kostenfrei oder kostet nur noch die Hälfte, nur der Sitzplatz muss noch (kostenpflichtig) reserviert werden. Hier heißt es ein bisschen rechnen, abhängig davon, ob man noch weitere Aktivitäten (und welche) geplant hat. Es gibt z.B. auf der SBB.ch Seite Infos zum Swiss Travel Pass oder der Swiss Half Fare Card (die eine Halbtax Card ist, mit der man nur den halben Preis für den Glacier Express zahlt).
Für wen ist die Tour geeignet? Für jeden, der sich für Aussichten und ruhiges Reisen interessiert. Auch für Menschen, die eingeschränkt beim Gehen und Wandern sind, ist dieses eine sehr gute Möglichkeit, die Schweiz zu erleben. Für Familien mit kleinen Kindern ist die Tour bedingt geeignet, wenn man an einem Tag hin und zurückfahren möchte, denn acht Stunden Zugfahren sind schon sehr lang.
Tipp! Diese Strecke lässt sich wunderbar mit der Linie des Bernina Express verbinden, z.B. von Zermatt nach Chur mit dem Glacier, dann von Chur bis nach Tirano (Italien) mit dem Bernina Express.
Lesestoff
- Viele Bilder von Ihrer Tour mit dem Glacier Express samt Diplom zeigt Janett auf Teilzeitreisender.de
- Auch Reni und Marcel von Swissnomads.ch haben eine wunderbare Fahrt mit dem Glacier Express gehabt und bieten viele zusätzliche Infos zur Fahrt
Hm, interessant, dass Du die Strecke des Glacier Express als nur halb so schön wie die des Bernina E. beschreibst, da ersterer definitiv bekannter ist. Liegt vermutlich an gutem Marketing 😉 Ich kenne beide noch nicht. Wird man da nicht unruhig von so vielem Sitzen?
Auf jeden Fall finde ich Deinen Beitrag inspirierend, die Schweiz liegt ja bei uns um die Ecke und mein Liebster ist nicht so fürs Wander 😉
Lg Kasia
Ich hatte mich auch viel mehr auf die Glacier Strecke gefreut, fand sie dann auch schön – aber die Albula- / Bernina Strecke mit den vielen Brücken, Gletschern und Aussichten viel ansprechender. Darum bin ich froh, zuerst mit dem Glacier und dann mit dem Bernina gefahren zu sein – andersrum wäre ich enttäuscht gewesen. Ich dachte auch, dass ich vom vielen Sitzen unruhig werden würde, aber wir hatten „Pausentage“ dazwischen, in denen ich gewandert bin – so war für alle Mitreisenden was dabei ;). Selbst die 2x4h an einem Tag mit dem Bernina waren wunderschön (auch wenn mir am Ende des Tages der Allerwerteste schon etwas weh tat…plattgesessen ;)…).