Seiteninhalt
Krakau: Wunderschöne Altstadt, Bummeln, Eisessen, Urlaub. Und: Deutsche Besatzung, zweiter Weltkrieg, Verfolgung, Mord und Wahnsinn. Ich habe mir lange überlegt, ob ich mich mit der dunklen Seite Krakaus, und damit mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, mit Verantwortung, Fragen nach Schuld und Unschuld, Vergeben, Vergessen und Erinnern auseinandersetzen möchte. Nicht zum ersten Mal erlebe ich deutsche Geschichte als Besatzergeschichte (Guernsey, Britische Inseln) und auch ein Konzentrationslager habe ich besichtigt. Also warum noch einmal? Schaulust?
Der Besuch im Konzentrationslager ist eine Verantwortung. Durch den Besuch und die Beschäftigung mit der unmenschlichen Grausamkeit übernehme ich Wissen und Verantwortung, solche nicht wieder geschehen zu lassen. Ich zolle den Opfern meinen Respekt, denn dieser Ort war ein Versuch, ihnen jegliche Menschlichkeit abzusprechen und zu nehmen. Auschwitz ist kein Touristenziel, kein Sightseeing-Must-Have. Es ist eine Mahnung.
Oskar Schindlers Emaillefabrik
Wer auch immer ein einziges Leben rettet…
Aus der Schule erinnere ich mich dunkel an Oskar Schindler und seine berühmte Liste der Juden, die er davor bewahrte, im Konzentrationslager ermordet zu werden. Ein Spielfilm, berührend, bedrückend, aber weit weg. Bis ich vor dem Eingang der Emaillewarenfabrik, der Fabryka Emalia Oskara Schindlera, im Zentrum Krakaus stehe. Und ich stehe erst einmal gut eineinhalb Stunden, denn Tickets habe ich nicht vorgebucht. Warten ist nicht meins…aber: Was für ein Segen, dass ich heute in dieser Schlange an dieser Stelle zu dieser Zeit stehen darf.
Produktionshallen gibt es heute keine mehr, doch das Verwaltungsgebäude der Fabrik von Oskar Schindler steht noch. Nach Verstaatlichung und Nutzung als Fabrik für Telekommunikationsanlagen nach dem Krieg wurde das Gelände 2005 von der Stadt Krakau zurückgekauft und ein beeindruckendes Museum eingerichtet, das den Besucher mitnimmt durch die Zeit der deutschen Besatzung Krakaus von 1939 bis 1945 mit Schwerpunkt auf dem Schicksal der Juden im Krakauer Ghetto.
Ich betrete das Fotostudio, von den Wänden schauen mich Kinder, Frauen und Männer an, alle mit Lebenszielen, Erwartungen, Hoffnungen. Themenraum für Themenraum tauche ich ein in ein Grauen, dass immer unfassbarer wird.
Wie kann so etwas geschehen?
Der letzte Tag im Frieden, Einmarsch der Deutschen, für Juden und Nicht-Juden getrennte Geschäfte; geschlossene Unversitäten, Aufbau des Ghettos, Transport der Juden nach Auschwitz… lange stehe ich vor Bildern, letzten Postkarten, einer verlorenen Brille. So viel Hoffnungslosigkeit. Und nach und nach kleine Schritte, die das Grauen nicht aufhalten, die nicht aus „Heiligkeit“ entstehen, sondern (zunächst) auch aus Wirtschaftlichkeit, und die unter hohem Risiko am Ende aber 1300 Juden vor der Vernichtung retten. Während ich durch die Ausstellung laufe, nimmt meine Bedrückung immer weiter zu. Das ist kein fröhlicher Museumsbesuch hier, das ist schwere Kost, ein Blick in den menschlichen seelischen Abgrund. Aber bei aller Bedrückung macht sich auch Bewunderung breit für Menschen, die in dunkelsten Zeiten immer wieder kleine Hoffnungszeichen setzen. Was bringt Menschen dazu, Universitätsabschlüsse im Untergrund zu machen; geheime Theater im Untergrund weiterzuführen; Menschen bei eigener Lebensgefahr zu verstecken? Was ist das Schöne in der menschlichen Seele?
In den Themenräumen sind anschauliche Stationen mit Informationstafeln, Ausstellungsstücken und Videotafeln aufgebaut. Es sind keine klassischen Museumsräume, sondern dem tatsächlichen Alltag im besetzten Krakau nachempfundene Kulissen. Der Film Schindlers Liste nimmt nur einen sehr kleinen Teil der Ausstellung ein; das Büro von Oskar Schindler kann besichtigt werden.
Hinweise – Oskar Schindlers Fabrik:
Wie kommt man hin: Aus dem Zentrum sehr einfach zu Fuß, einmal quer über die Weichsel. Vom Stare Miasto (Krakau Altstadt) kann man immer die Straße Starowislna gradeaus Richtung Weichsel laufen und braucht ca. 30 Min. zum Museum. Mit dem Zug (Station Krakow Zablocie) und verschiedenen Bussen kommt man ebenfalls hin. Als zusätzlicher Orientierungspunkt: Das Museum liegt direkt neben dem nationalen Kunstmuseum.
Und Tickets?: Wer nicht in einer (auch Corona bedingt) langen Schlange bis gut zwei Stunden draußen vor der Tür warten möchte, sollte sehr früh kommen oder noch besser die Tickets online über die offizielle Seite kaufen. Die offizielle Ticketseite ist: https://bilety.mhk.pl/?lang=en ; ein Kauf über diverse Touristenportale ist nicht notwendig. Wer ein Ticket über die offizielle Seite kauft, kommt auch zum gebuchten Zeitfenster rein.
Und sonst? Das Museum ist unbedingt zu empfehlen; auch ganz besonders, wenn man noch Auschwitz besuchen möchte. Man erhält unheimlich viel Hintergrundwissen, das helfen kann, die Erlebnisse in Auschwitz besser einzuordnen. Für kleine Kinder ist die Ausstellung nicht geeignet!
Konzentrationslager Auschwitz / Auschwitz-Birkenau
Wie kann man Grauen in Worte fassen?
Je mehr ich über den Nationalsozialismus, den zweiten Weltkrieg und die Todesmaschinerie lerne, desto unbegreiflicher wird es. Kann man Grauen in Worte fassen?
Es regnet in Strömen. Im jüdischen Viertel werde ich von einem kleinen Gruppenbus abgeholt; diese Tour mache ich komplett geführt. Bis nach Oświęcim (Ausschwitz) brauchen wir etwa eine Stunde; im Bus läuft ein Informationsfilm über Auschwitz, der zwar alt ist, aber erschreckend offen über Auschwitz berichtet. Ich schaue hin. Und dann ganz kurz weg. Die Bilder sind schwer auszuhalten.
In Auschwitz gibt es aktuell nur geführte Gruppenführungen (und ich hoffe, dieses wird aus Respekt vor dem Ort auch in Zukunft so beibehalten). Unsere Touristenguidin – es fällt mir schwer, in diesem Rahmen das Wort Führerin zu benutzen – führt uns über das Gelände, zu und in Baracken, durch den Matsch zu den Krematorien. Menschen aus allen Richtungen der Welt, 20 verschiedene Sprachen, Kinder, Frauen Männer, jung und alt – verfrachtet ins Nirgendwo, um zur Arbeit gezwungen oder direkt getötet oder als Material zerlegt zu werden.
Ich habe mir viele Gedanken gemacht, ob und wieviel ich in Auschwitz fotografieren möchte. Für mich ist nicht das Fotografieren an sich dort ein Problem, sondern das wie. Braucht man das „lustige Todesselfie vor der Erschießungswand“? Sicher nicht. Fotos als Dokumentation, dass man diesen Ort besucht hat? Warum nicht? Fotografieren ist in Auschwitz grundsätzlich nicht verboten. Es gibt jedoch einzelne Ausnahmen, z.B. ein großes Glasfenster mit zwei Tonnen Haaren von ermordeten Menschen. Für mich persönlich habe ich mir in Auschwitz die Frage gestellt, warum ich etwas fotografieren soll, was andere viel besser, respektvoll und mit viel Taktgefühl bereits dokumentiert haben. Und daher gibt es an dieser Stelle nur wenige Bilder. Vielmehr möchte ich euch dringend den Beitrag von Breitengrad 66 ans Herz legen; eine wunderbare Fotoblogreportage mit ausdrucksstarken Bildern und viel Emotion: https://www.breitengrad66.de/2014/03/18/ein-besuch-in-auschwitz/
Vieles, was ich an diesem Tag erfahre, berührt mich tief: Tod oder Arbeitslager nach Handzeichen des Arztes auf der „Judenrampe“, willkürliche Erschießungen bei Flucht von Mithäftlingen, Geschichten von Krankheit, Hunger und jeder muss sich selbst der Nächste sein. So viel Dunkelheit – das muss der tiefste Abgrund der menschlichen Seele sein. Und dennoch: Immer wieder gibt es auch kleine Geschichten von Hoffnung, von Leben: Kinder, die nach Sterilisationsexperimenten von Mengele doch noch geboren werden; die Geschichte von Pater Kolbe…
„Am 29. Juli 1941 wurden Männer als Vergeltungsmaßnahme für die nur vermutete Flucht eines anderen Häftlings, dessen Leiche später gefunden wurde, zur Ermordung aussortiert. Als einer der Männer, Franciszek Gajowniczek, der eine Frau und zwei Söhne hatte, in lautes Wehklagen um sich und seine Familie ausbrach, bat Pater Kolbe den Führer des Häftlingslagers Karl Fritzsch darum, den Platz von Gajowniczek einnehmen zu dürfen, und wurde am 31. Juli 1941 in den berüchtigten „Hungerbunker“ des Blocks 11 gesperrt. […] Am 14. August wurden Pater Kolbe und drei andere Verurteilte, die noch nicht verhungert waren, durch Phenolspritzen […] umgebracht und im Krematorium verbrannt. Gajowniczek überlebte das Konzentrationslager und starb 1995.“ – Wikipedia, Stand: 01.09.2021
Sehr, sehr nachdenklich verbringe ich meinen letzten Tag in Krakau.Vielmehr als jeder Geschichtsunterricht hat mich dieser Besuch in Auschwitz berührt. Warum steht ein Besuch im Konzentrationslager nicht als Pflichtbesuch in jedem Unterrichtscurriculum? Urlaub war dieser letzte Tag nicht, und dennoch bin ich froh, nach Auschwitz gefahren zu sein. Dieser Ort, die Geschichte der Menschen dort, hat mich tief berührt.
Hinweise – Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau
Wie kommt man nach Auschwitz? Vom Hauptbahnhof Krakau (Kraków Główny) aus mit dem Zug oder dem Bus bis zum Hauptbahnhof von Oświęcim, dann hat man noch ca. 3 km Laufweg vor sich, die Fahrt dauert ca 1 1/2 Stunden. Alternativ kann man mit einem Busunternehmen, z.B. von Lajkonik (Fahrplan nach Auschwitz), fahren, die mehrmals täglich hin und her fahren. Sehr komfortabel (aber auch teurer) fährt man mit einem privaten Touranbieter, der einen am Treffpunkt abholt und wieder zurückbringt. Über diese Tourguides bekommt man z.B. Infos bei der Touristeninformation in Krakow, oder man bucht direkt online über entsprechende Portale wie getyourguide oder tripadvisor. Hier bekommt man auch Pakete, bei denen man an einem Tag nicht nur Auschwitz, sondern auch das Salzbergwerk Wieliczka besuchen kann – für mich war dieses keine Option, denn ich wollte für beide Orte ausreichend Zeit haben. Meinen Ausflug nach Wieliczka findest du hier.
Tickets: Man benötigt ein Ticket für eine Gruppenführung, das man online direkt bei https://visit.auschwitz.org/(offizielle Seite) kaufen kann. Bucht man eine Tour ab Krakau, ist das Ticket für Auschwitz schon meist mit drin. Achtung: In Auschwitz muss man durch einen Sicherheitscheck und die Taschen werden wie am Flughafen kontrolliert. Das Ticket für Auschwitz beinhaltet den Besuch in Auschwitz (Museum Gedenkstätt) und in Auschwitz-Birkenau („Judenrampe“). Zwischen beiden gibt es Pendelbusse, alternativ kann man zu Fuß gehen.
Hinweise: Auf dem Gelände bewegt man sich fast ausschließlich draußen, außer bei der Besichtigung einzelner Blöcke, in denen Objekte oder Bilder ausgestellt sind. An einem Regentag wird es draußen sehr matschig, nicht alle Wege sind asphaltiert. Wer unvorbereitet kommt, kann am Kiosk in der Gedenkstätte Regenponchos für kleines Geld kaufen. Die Ausstellung ist für Kinder nicht geeignet!